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Sie haben uns den Bard’s Song geschenkt, sie haben mit uns Mirror, Mirror geschmettert und uns mit nach Valhalla genommen. Die Rede ist ganz klar von BLIND GUARDIAN! Diese Ikonen der (deutschen) Metalszene haben den Musikgeschmack ganzer Fangenerationen geprägt und es war mir eine wahre Ehre dieses Interview mit Hansi Kürsch führen zu dürfen! Lest nun, wie der Sänger es schafft, sich selbst treu zu bleiben und was für besondere Gedanken er sich beim Song Destiny gemacht hat!
Vielen Dank auch an lightinmirror.de für die genialen Bilder!

Shieldmaiden’s Voice: Was macht BLIND GUARDIAN einzigartig?
Hansi Kürsch: Ich glaube, es ist die Intensität und die Glaubwürdigkeit, mit der wir Musik betreiben. Hinzu kommt die Innovation, die tatsächlich bis jetzt noch keinen Stop gefunden hat. Es ist nicht so, dass wir uns anstrengen müssen, um innerhalb unseres Feldes etwas neues zu finden. Neben all diesen Punkten zeichnet uns auch eine Neugier und eine gewisse Bodenständigkeit aus.
SV: Letztes Jahr habt ihr ja The God Machine veröffentlicht. Inwiefern unterscheidet sich dieses Album von euren vorherigen Veröffentlichungen?
Hansi Kürsch: Es ist auf den Punkt und es gibt viele Leute, die sagen, dass es viele Rückbesinnungen, insbesondere in die 90er, hat. Das ist auch wahr, aber es hat gleichzeitig einen sehr modernen Anstrich. Ich glaube nicht, dass irgendwer behaupten würde, es wär ein Oldschool-Album, obwohl die Leute es mit den 90ern vergleichen. Es hat auch nichts retromäßiges, was die Art angeht, mit der wir Songs konstruieren. An und für sich ist jedes Lied, was wir machen, ein Unicum. Wir haben keine vorgegebenen Muster und wir überlassen beim Songwriting vieles dem Zufall. Auf der anderen Seite sind wir aber sehr fokussiert und gegenüber uns selbst sehr kritikfähig. Die Leute bekommen ein hochqualitatives Album, was sie von uns ja gewöhnt sind – zumindest hoffe ich, dass sie es gewohnt sind – , aber es ist eine konsequente, gut durchdachte Weiterentwicklung unserer Musik.
SV: Wir kommen jetzt gerade auch aus dieser Pandemiezeit heraus. Welchen Einfluss hatte das auf die kreativen Prozesse bei diesem Album?
Hansi Kürsch: In erster Linie hat es uns bei der Produktion mehr Zeit gegeben. Wir konnten etwas mehr daran feilen als wir es bei den vergangenen Alben gemacht haben. Zwar geben wir den Alben immer recht viel Zeit und wir sind bei der Arbeit daran auch sehr fokussiert und bei diesem Album ist uns eben noch ein Zusatzjahr geschenkt worden, wenn man es positiv betrachten wollte. Ich glaube aber, dass die Energie eine andere ist. Wir haben die Frustration in der Musik durchaus hervorblitzen lassen. Man merkt schon, dass da einerseits eine Band on Fire ist und dass es andererseits eine gewisse Frustration gibt.
SV: Würdest du sagen, dass es aus diesen Gründen besonders hörenswert ist?
Hansi Kürsch: Ich glaub, es wäre auch so hörenswert gewesen! Aber es ist sehr homogen und wir hatten diese Zeit, um uns selbst Gedanken zu machen und in so einer Phase denkt man sicherlich mehr darüber nach, was man ausdrücken will oder ob man etwas auf dem Album haben will, was vielleicht nicht unbedingt notwendig ist und ob man sich wirklich auf die Sachen fokussiert, die den Songs gut tun.

SV: Wenn man mal die Zeit jetzt mit eurer Anfangszeit vergleicht, dann ist die Szene ja unheimlich gewachsen und es gibt unheimlich viele Künstler. Wie schafft ihr es da euch selbst treu zu bleiben, im Lichte dessen, dass es ja so viele andere Angebote für die Fans gibt?
Hansi Kürsch: Das ist keine einfache oder pauschal zu beantwortende Frage, weil jeder ein bisschen anders damit umgeht. Die meisten Nummern schreibe ich ja zusammen mit André und er versucht weitestgehend alle neuen musikalischen Einflüsse zu ignorieren oder von sich fernzuhalten. Ich bin der Meinung, dass man sich von allem inspirieren lassen kann, und dazu gehört eben auch neue und vielleicht auch alte Musik. Wenn man sich selbst kennt und weiß, wie man mit neuen Erfahrungen umgeht, und diese neuen Erfahrungen in erster Linie überhaupt erst hat, hat man immer die Möglichkeit, sich vom Rest abzusetzen und die neuen Universen bis zu einem gewissen Punkt in sein Schaffen aufzunehmen. Man wird allein dadurch ja nicht zur Kopie oder zum Klon. Das wird bei uns auch nie passieren, weil jeder in der Band so kritikfähig ist, dass wir auch sehr sensibel reagieren, wenn wir das Gefühl haben, dass wir zu nah an METALLICA, oder irgendwem anders, dran sind. Da wir trotz allem sehr individuelles Songwriting machen, was in der Band als Kollektiv verbessert bzw. verfeinert wird, haben wir nie die Gefahr, dass der Fokus zu sehr auf einer Person liegt, die den Weg zu sehr bestimmen könnte. Wir können fast alles assimilieren, um es mal mit Star Trek zu sagen. Es wird dabei stets unseren Stempel tragen und darin bleiben wir uns treu.
SV: Du hast gerade schon ein bisschen deine Inspirationen angerissen. Was sind deine wichtigsten Inspirationen für deine Musik?
Hansi Kürsch: Schwer zu sagen… Manchmal sind es die Sachen, die ich höre. Ich höre viel die alten Sachen von GENESIS und PETER GABRIEL. Das bringt mir musikalisch für BLIND GUARDIAN jetzt erstmal nicht so viel bei BLIND GUARDIAN, aber die Herangehensweise hilft mir dann doch wieder. Wenn ich nicht weiter weiß, was nicht so häufig passiert, weil viele Sachen aus einem Impuls heraus kommen, dann stelle ich mir die Frage „Was würde Person XY damit machen?“. Manchmal fällt dann der Groschen und es entsteht eine Melange, die trotzdem eher nach mir klingt. Wir haben auf der neuen Platte eine Nummer namens Destiny. Ich habe das nie kommuniziert und das hat für die anderen auch keine Relevanz, aber in dem Song gibt es diverse Verse, bei denen ich mir genau diese Frage gestellt habe! Ich habe mich wortwörtlich gefragt: „Was würde Geddy Lee [RUSH] machen?“. Das hat nichts mit Geddy Lee zu tun, ich singe ja auch ganz anders, die Musik ist ganz anders, aber ich habe schon von ein paar Leuten gehört, dass die Nummer nach RUSH klingt oder ob wir uns von RUSH haben inspirieren lassen. Man merkt es also doch, aber es wirkt nicht wie aufgesetzt. Es ist eben doch was neues!
SV: Also wirklich assimiliert!
Hansi Kürsch: Genau! Assimiliert!

SV: Dieses Jahr geht ihr wieder auf Tour. Gibt es für euch einen Punkt, an dem es euch reicht, an dem ihr vielleicht auch keine Lust mehr darauf habt?
Hansi Kürsch: Nein! Als wir angefangen haben, waren meine Gedankengänge diesbezüglich gar nicht aufs Alter ausgelegt und man ist irgendwie davon ausgegangen, dass man innerhalb von 10 Jahren bis an die Spitze der Metal-Welt geht, ist Rockstar und ich hätte mir keine Gedanken darüber gemacht, was nach den 10 Jahren gekommen wäre. Nicht, dass wir eine Timeline gehabt hätten oder so, aber es war ein gewisses Selbstverständnis, denn sonst muss man nicht anfangen professionell Musik zu machen, wenn man nicht so daran glaubt. Bei uns hat es dann wesentlich länger gedauert und bis ganz nach oben hat es vielleicht auch noch nicht gereicht, aber wir sind doch relativ weit gekommen. Es gab auch eine ganz lange Zeit, in der sich niemand von uns irgendwelche Gedanken über die Zeit und die kommenden Jahre Gedanken gemacht hat. Irgendwann in der Mitte hatten wir dann eine Diskussion, wie lange wir das noch machen wollen, aber in den letzten 15 Jahren hat sich darüber niemand Gedanken gemacht. Ich mache mir jetzt manchmal über mein Alter Gedanken und denke mir dann, wie es ist bestimmte Songs in 10 Jahren noch singen zu müssen… Ich bin dann noch keine 70, aber ich bin weit jenseits der 60 und vielleicht muss man dann an dem Konzept ein bisschen was ändern. Keine Ahnung, was man dann macht…
SV: Vielleicht ein Stuhl auf die Bühne?
Hansi Kürsch: [lacht] Der Stuhl auf der Bühne ist die eine Sache, aber das andere ist die grundsätzliche Energie, die einem die Musik abverlangt. Wenn die Gitarristen im Sitzen spielen würden, dann würde da ja nichts rüber kommen. Man würde sehr viel von der Energie verlieren. Bei mir ist das nicht anders. Natürlich wollen wir noch lange weiter machen und schauen mal, ob wir irgendwann moderatere Musik machen, die dann trotzdem noch passt.
SV: Wir kommen leider auch schon zum Ende und darum nun die letzte Frage: Wenn du dir für die Zukunft von BLIND GUARDIAN eine Sache wünschen könntest, welche wäre es?
Hansi Kürsch: Dass wir so zusammenbleiben, wie wir das momentan machen und dass wir noch viele Jahre lang Musik machen können. Dass der Austausch mit den Fans so bleibt, wie er ist und dass wir nicht nochmal erleben müssen, dass Festivals und Konzerte verboten sind. Das würde ich mir für BLIND GUARDIAN und die Welt wünschen. Und noch, dass die Menschen wieder zueinander finden und den Spaß, den man bei so einem Festival hat, mit ins Leben nehmen!
Wenn das kein gelungenes Schlusswort ist, dann weiß ich nicht. Es ist immer wieder eine wahre Freude mit so talentierten Ikonen, wie Hansi Kürsch eine ist, sprechen zu dürfen! Nachdem wir jetzt zwei Power Metal Interviews hatten, wird es Zeit für einen kleinen Tempowechsel, findet ihr nicht auch? Schaut übermorgen nochmal vorbei, denn da erwartet euch ein weiteres meiner Highlights!


1 Kommentar zu „Was würde Geddy Lee machen? – Ein Interview mit BLIND GUARDIAN“