Es begann im Kleiderschrank: Christoph Wieczorek und Sawdust Recordings

You can find the English version of this interview here.

Halle: Die Saalestadt, die für vieles bekannt ist, wie etwa die Hallorenkugeln oder als Geburtsort Georg Friedrich Händels. Was einige von euch da draußen nicht wissen dürften, ist, dass Halle auch ein Hotspot für die Musikproduktion ist, zumindest, wenn man Rock und Metal mag. Grund dafür ist das Studio SAWDUST RECORDINGS von ANNISOKAY-Vocalist Christoph Wieczorek.

Lest nun im Interview, wie er zur Musikproduktion kam, welche Produktion nicht so viel Aufmerksamkeit, wie verdient, bekam und einiges mehr!

Vielen Dank auch an dieser Stelle wieder an lightinmirror.de für die wundervollen Bilder!

Christoph Wieczorek/Sawdust Recordings; Pic by lightinmirror.de, (c) 2022

Shieldmaiden’s Voice: Beschreibe deine Arbeitsweise als Produzent in drei Worten!

Christoph Wieczorek: Modern, kompromisslos, individuell!

SV: Wie kamst du zur Musikproduktion?

CW: Da muss ich nochmal ganz von vorne anfangen. Mit fünf Jahren fing ich an Klavier und Keyboard zu spielen und so mit 12 Jahren hab ich dann auch eigene Songs geschrieben. Ich wollte die dann natürlich später noch hören und mit Hilfe meines Vaters, der tatsächlich auch Musiker ist, habe ich die dann aufgenommen. Er hat die bestimmt noch auf irgendwelchen Disketten! [lacht] 

Mein Vater hatte damals schon eine kleine Studioecke, in der das Keyboard und ein Atari-Computer mit dem Programm „Cubasis“ stand. Das muss so um das Jahr 1995 herum gewesen sein.

Als Teenager wurde mir das Keyboard aber irgendwie zu uncool. Ich wollte unbedingt E-Gitarre lernen und hab mir das dann selbst beigebracht. Ich fand es damals auch einfach cool, so mit 16 Jahren für die eigene Band Songs zu schreiben. Natürlich musste ich mir das Geschriebene auch irgendwie merken und auch da stellte sich dann wieder die Frage, wie man das am Besten aufnimmt. Durch die Erfahrung mit meinem Vater war ich dann ja schon ein bisschen mit der Technik vertraut.

Das Ganze hat sich dann einfach fließend weiterentwickelt und ich habe begonnen meine eigene Band aufzunehmen. Wir hatten einen coolen Sänger, den ich im Wohnzimmer oder auch im Kleiderschrank aufgenommen hab. 

Damals gab es noch kein Youtube und keine Foren, mit denen man sich das alles beibringen konnte. Ich musste das ganze also eher via Learning by Doing und Trial-and-Error-mäßig für mich herausfinden und das hat auch dementsprechend lange gedauert. Ich wünschte eigentlich, ich wäre in der heutigen Zeit aufgewachsen, weil es heute ein bisschen einfacher gewesen wäre.

Irgendwann wurde die Band, SALAX hieß sie damals und wir spielten deutschen Nu-Metal, auch ein bisschen lokal bekannt und die Bekanntheit führte dann dazu, dass auch andere Bands auf mich zukamen und fragten, ob ich das nicht auch für sie machen könne. Ich fuhr dann also mit meinem Computer in deren Proberäume, wo ich dann für zwei Wochen auf der Matratze geschlafen und dann die Band aufgenommen habe. Das war meine erste Albumproduktion. 

Dann kam die nächste und ich bin viel umhergereist. Irgendwann merkt man dann, dass man das an einem festen Ort machen muss und so habe ich mir dann mein erstes Studio zusammengebaut. Und eh man sich versieht, ist man drin in der Musikproduktion. 

SV: Dann springen wir jetzt zurück in die Gegenwart! Was sind Sachen, die du schwerpunktmäßig bei Sawdust Recordings produzierst?

CW: Schwerpunktmäßig, würde ich sagen, ist es moderner Rock bis Metal. ich will da niemanden ausschließen, wir haben immer mal wieder auch Pop-Produktionen oder auch mal was Jazziges oder auch mal Symphonic Metal oder auch mal Death Metal. Es ist in beide Richtungen alles dabei. Der Kern macht Metalcore, Hardcore und Rock.

In letzter Zeit hat sich noch eine neue Spezialisierung herausgebildet und die ist Female-Fronted. Ich habe sehr viele Bands mit Sängerinnen hier. Als ich die mal alle zusammengezählt habe, waren es exorbitant viele. Im vergangenen Jahr habe ich wesentlich mehr Bands mit Sängerinnen aufgenommen, als Bands mit Sängern. Ich weiß nicht, ob das in der Musikrichtung vielleicht ein allgemeiner Trend ist, aber es ist mir auf jeden Fall aufgefallen. 

SV: Welche Meilensteine hast du mit deinem Team hier im Studio schon gehabt bzw. erlebt?

CW: Das Studio an sich, so wie es jetzt ist, war ein Meilenstein für mich. Es war eine große Investition und da fragt man sich schon, ob es jetzt so richtig ist, ob man sich da nicht vielleicht doch verrennt, ob das Risiko nicht vielleicht zu groß ist und letztlich habe ich es aber einfach gemacht. Ich habe einen Kredit aufgenommen, alles konzipiert und entworfen und so ist es auch geworden. Damit bin ich an einem Punkt, an dem ich sage, dass ich hier Bands hineinlassen und die Räume mit Stolz zeigen kann. Davor, wir sind ja erst seit 2018 hier in den Räumen, war es immer an der Grenze zum Proberaum und ein bisschen sehr punkig. Die Produktionen waren auch gut, aber das ist ja nur das eine. Die Leute sollen sich hier ja auch wohl fühlen. Wenn die Bands in das andere Studio kamen, war es mir immer ein wenig unangenehm [lacht]. Jetzt kann ich die Leute ohne Bedenken herkommen lassen. Deswegen war das definitiv ein Meilenstein.

Ansonsten hangelt man sich von Produktion zu Produktion zu immer größeren Artists hin und man arbeitet mit immer bekannteren Künstlern zusammen, die dann eben dementsprechend mehr gehört werden und auch mehr Platten verkaufen. Es gibt dann auch die ersten Chart-Platzierungen, die höchste Platzierung war, denke ich, WE BUTTER THE BREAD WITH BUTTER auf Platz 8 in den deutschen Albumcharts. Momentan arbeite ich an dem neuen Album von ELECTRIC CALLBOY, was unsere erste Nummer 1 werden könnte.

Wenn man mit sowas hier in Halle anfängt, hätte man das nicht gedacht, dass wir mal Bands produzieren, die wirklich ganz oben sind, wo nichts größer ist. Das ist schon krass. Ich könnte jetzt noch mehr Namen aufzählen, aber es kam alles so Stück für Stück.

Christoph Wieczorek/Sawdust Recordings; Pic by lightinmirror.de, (c) 2022

SV: Warum braucht man überhaupt einen Produzenten?

CW: Es gibt zwei Hauptaufgaben von Producern und zwar einmal die musikalische Seite und die Sound-Seite.

Die musikalische Seite betrifft den Song selbst: vom Arrangement bis zur Songstruktur mit Melodien, Harmonien und allem, was noch dazu gehört. 

In der Sound-Ecke geht es eben um Gitarrensound, Vocalproduktion, Effekte, Mixing und Mastering.

Für den ersten Teil braucht man, meiner Meinung nach, einen Produzenten, weil man über die lange Zeit, die man an einem Song arbeitet, die Objektivität verliert und man dann nicht mehr beurteilen kann, was cool ist, ob die Melodie so passt oder was noch besser gehen könnte. Das ist das, was ich „Demoritis“ nenne. 

Natürlich hat man schon so eine Art Instinkt oder Gefühl, aber eine dritte Meinung ist da echt viel Wert. Auch dadurch, dass man jemand anderem den Song zeigt, denkt man schon wieder ganz anders darüber nach. Der Producer hat ein frisches Ohr, der hört den Song zum ersten Mal, hat natürlich dann Ideen und das bringt das Ganze dann eben weiter. 

Man braucht als Band oder Künstler einen Producer, um über den eigenen Horizont hinauszukommen. Es hört eben irgendwo auch auf. Das hat nichts mit der Band oder dem Musiker zu tun, sondern es ist einfach natürlich bedingt. Ich bin davon ja auch nicht ausgenommen. Für die Sachen, die ich für ANNISOKAY mache, brauche ich auch einen Producer.

Dann gibt es natürlich noch die Sound-Seite, das ist ja auch nochmal ein großer Teil. Da braucht man den Produzenten eben, damit es am Ende fett klingt. Es gibt immer mehr Bands, die sagen, dass sie es auch selbst machen können. Mit der heutigen Technik kann man auch viel machen, aber um auf ein professionelles Level zu kommen, braucht man einfach jemanden, der seit Jahren jeden Tag nichts anderes macht außer zu produzieren. Das macht den Unterschied aus und das wird sich auch in den nächsten 10 Jahren nicht ändern. 

Wenn man sich nun vorstellt, es gäbe eine Software, in der man nur einen Knopf drückt und die dann den Song mixt und mastert, dann hätten die ja alle und dann würden alle am Ende auch wieder gleich klingen und das will ja auch keiner. Es geht hier immer noch um Kunst und es ist damit eine individuelle Ausdrucksform. Und genau dafür braucht man einen Producer. 

SV: Was sind für dich die größten Schwierigkeiten oder Herausforderungen, wenn du eine Band produzierst? Du sprachst gerade von „Demoritis“, aber gibt es darüber hinaus etwas, von dem du sagst, dass man daran auch gut verzweifeln kann?

CW: Es ist tatsächlich zunächst dieser Kampf mit der Gewöhnung, der das Schwierigste ist. Erstmal muss man das Vertrauen der Bands gewinnen, die zu dir ins Studio kommen. Ich habe das Glück, dass viele, die hierher kommen, meine Arbeit kennen und sagen: „Ja, mach!“. Es gibt aber immer mindestens einen in der Band, der immer sehr skeptisch ist. Wenn man anfängt den ersten Akkord zu ändern, dann wird gleich protestiert und Panik geschoben.  Aus der eigenen Erfahrung weiß man, welche Änderungen besser zur Melodie passen. Der Künstler sieht das aber vielleicht nicht so und man muss dann eine Zusammenarbeit finden, mit der alle gut leben können. Es liegt mir fern jemandem etwas aufzuzwingen und wenn die ursprüngliche Version die bevorzugte ist, dann lasse ich es eben so. Es ist immer noch deren Song. Manchmal ist es dann die hohe Kunst genau das zu vermitteln und da ist tatsächlich auch viel Psychologie dabei. Julian, mein Kollege hier, hat Psychologie studiert und das ist einer seiner großen Vorteile, er kann mit den Leuten in solchen Situationen auch umgehen. Das finde ich tatsächlich sehr schwierig, es ist aber auch immer sehr künstlerabhängig. Es gibt aber auch genug Künstler, die da total easy sind, die jede Idee gut finden und dann selbst noch neue Ideen haben.

Schwierig wird’s natürlich auch, wenn die Musiker nicht so gut sind. Wenn es jetzt von der musikalischen Technik nicht ganz so reicht, dass ich am Ende sagen würde, dass ich guten Gewissens meinen Namen darunter setzen kann. Heutzutage ist aber vieles möglich und man kann auch bei Sängern so viel machen, dass selbst eine jammernde Katze nach Musik klingen kann.

Da bin ich auch froh drüber, denn früher, als man einfach nur ein Tonband hat laufen lassen und das musste dann stimmen, wäre ich sicherlich nicht gerne Produzent gewesen.

SV: Welche deiner Produktionen erfüllt dich heute am meisten mit Stolz?

CW: Schon meine eigenen Alben, weil ich bei ANNISOKAY einfach alles 100% selbst in der Hand hab. Ich will da meine Band nicht ausschließen, die wirken da ja auch sehr aktiv mit, aber vom produktions- und schreibtechnischen her, ist das alles mein Werk. Zwar hole ich mir für die musikalische Seite Benny Richter aus Berlin als Producer an meine Seite, aber den Sound mach ich selbst.

Es steckt so viel Zeit, Emotion und Arbeit drin, dass das einfach die Sachen sind, hinter denen ich am meisten stehen kann und worauf ich deshalb auch am stolzesten bin. 

Sawdust Recordings; Pic by lightinmirror.de, (c) 2022

SV: Gibt es Produktionen, die du nicht machen würdest?

CW: Eine klare Grenze gibt es zu Dingen, mit denen ich politisch nicht d’accord bin. Solche Anfragen gab es schon. Bands, die offensichtlich propagieren rechts zu sein oder die Verschwörungstheorien verbreiten, würde ich nicht produzieren.

Ansonsten bin ich eigentlich für alles offen, wenn es gut ist. Musikalisch gesehen gibt es eigentlich nichts, was ich nicht machen würde, solang die Bands Lust haben mit mir zu arbeiten.

SV: Welche deiner Produktionen oder Projekte hat nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen, wie du es dir erhofft hattest?

CW: Das kann ich sofort sagen! Die Band heißt VON WELT. Das war die erste Produktion, die ich hier im neuen Studio gemacht habe, und ich war auch ins Songwriting involviert. Der Prozess ging über einen Zeitraum von zwei Jahren, wir haben richtig viel Energie hineingesteckt und ich fand die Songs alle so genial. Als sie dann hier waren, haben wir lange auch am Sound gefeilt und das Produkt ist, meiner Meinung nach, mega fett geworden und die haben einfach nicht den Hype bekommen, den ich mir erhofft hatte. Das ist dann einfach so. Man weiß dann auch nicht genau, woran es liegt. Zu dem Zeitpunkt hatten sie kein Label, waren mit verschiedenen Major Labels im Gespräch und es zog sich alles ewig hin und mal sehen, wie es mit ihnen weitergeht. Sie haben sich mittlerweile eine richtig gute Fanbase aufgebaut, aber die kamen mir jetzt sofort in den Sinn!

SV: An welchen Dingen arbeitest du aktuell?

CW: Aktuell arbeite ich an den neuen Alben von CIRCUS OF FOOLS, AERIES, OCEANS und A LIFE DIVIDED. Dann auch steht gerade noch das Mastering für ELECTRIC CALLBOY an. Ich könnte jetzt noch mehr aufzählen, aber es läuft auch viel parallel und einiges kennt man noch gar nicht. Aber die Sachen, die ich gerade genannt hab, sind schon ganz cool. 

SV: Welchen Einfluss hat und hatte die Pandemie auf deine Arbeit?

CW: Ich hatte zwei oder drei Absagen von Produktionen, die ich machen wollte. Eine davon ist für mich tatsächlich sehr tragisch gewesen und das waren CASKETS. Das ist eine Band aus England, für die ich vorher die Songs nur gemischt hatte und die dann ihr nächstes Album daraufhin bei mir produzieren wollten. Da habe ich mich natürlich gefreut, denn internationale Produktionen sind schon echt cool und die konnten dann im Sommer 2020 nicht kommen, weil die damals aktuelle Lage es nicht zuließ. Sie haben das Album dann woanders gemacht und jetzt sind sie mit einer Single in der Auswahl für eine Grammy-Nominierung. Das ist schon echt ärgerlich. 

In der Zeit, in der mir auch die anderen zwei Projekte weggebrochen sind, gab es auch Hilfen, die ich krasserweise sofort auch bekommen habe vom Staat, was ja auch nicht selbstverständlich ist. Es war für mich dadurch auf der finanziellen Ebene überhaupt kein Problem. Ich habe eher das Gefühl, dass der krasse Einfluss jetzt noch kommt. Dieses Jahr sieht ein bisschen entspannter aus. Am Anfang der Pandemie hat man die freie Zeit eben zum Schreiben benutzt, aber keine Band schreibt und produziert zwei Jahre lang Musik, irgendwann ist dann eben mal das neue Album fertig. Dann muss erstmal getourt werden und wenn alle auf Tour sind, kann es sein, dass irgendwann keiner mehr kommt. Das ist so ein bisschen meine Befürchtung gerade, dass es so noch kommt bei mir.  

SV: Was ist der beste Weg, um dich für mögliche Produktionen zu kontaktieren?

CW: Auf unserer Website gibt es einen Anfrage-Knopf, wo man ein Formular ausfüllen kann und das ist immer am Besten. Da weiß ich dann schon ungefähr, worum es geht. Das ist der einfachste Weg. 

Wenn ihr nach diesem Interview mehr von Christoph sehen wollt, könnt ihr das bei der anstehenden ANNISOKAY Tour tun, die bald starten wird. Lasst euch an dieser Stelle gesagt sein, dass dies nicht das letzte Interview aus den SAWDUST RECORDINGS ist, der euch hier erwartet. Haltet also die Augen offen, bleibt gesund und genießt den beginnenden Sommer!

Christoph Wieczorek/Sawdust Recordings; Pic by lightinmirror.de, (c) 2022

1 Kommentar zu „Es begann im Kleiderschrank: Christoph Wieczorek und Sawdust Recordings

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das:
search previous next tag category expand menu location phone mail time cart zoom edit close