Die Kunst der Katharsis: HARAKIRI FOR THE SKY im Interview

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In meinem Alltag werde ich öfter mal gefragt, warum ich überhaupt Metal höre. Wenn ich dann antworte, dass Metal für mich jede denkbare emotionale Facette für mich abdeckt, wird das häufig belächelt. Fakt ist aber, dass ich mich in dieser Szene auch vor allem deshalb so wohl fühle, weil ich das Gefühl habe, ich bin mit bestimmten Erfahrungen nicht alleine. HARAKIRI FOR THE SKY haben es mit ihren Alben immer wieder geschafft, spezifischen Gefühlslagen musikalischen Ausdruck zu verliehen. Insofern ist die emotionale Tragweite hier für mich besonders weitreichend. Umso glücklicher bin ich, dass ich euch da draußen jetzt das folgende Interview präsentieren kann. Lest selbst, welchen Gefühlsebenen wir nachgefühlt haben und warum M.S. und J.J. wie ein altes Ehepaar sind!

Vielen lieben Dank auch an lightinmirror.de für die wundervollen Bilder vom Konzert in Erfurt!

HARAKIRI FOR THE SKY, Erfurt; Pic by lightinmirror.de (c) 2023

Shieldmaiden’s Voice: Was ist eurer Meinung nach die größte Stärke eurer Musik?

M.S.: Sie ist ehrlich.

J.J.: Durch die Ehrlichkeit wird die Musik auch mitreißend und innovativ. Unsere Musik ist auch anders als die Musik anderer Black Metal Bands, bei denen ich mir denke, dass es eigentlich ganz cool klingt, ich es aber schon 500 Mal irgendwo gehört habe. Ohne uns beweihräuchern zu wollen, denke ich aber, dass wir ein gutes Melodieverständnis haben und dadurch klingen wir einfach anders. 

SV: Wenn ihr sagt, dass eure Musik ehrlich ist, was ist dann die größte Inspirationsquelle für euch?

M.S.: Ich denke, man wird von fast allem beeinflusst, was einen umgibt. Egal, ob das Musik, das Alltagsgeschehen oder beispielsweise auch die Corona-Zeit. Die Leute haben immer angenommen, dass man da so viel Zeit hatte, um neue Musik zu schreiben, aber es passierte ja einfach nichts. Es fehlte einfach der Input und dementsprechend ist da auch nichts neues entstanden. Im Lockdown jeden Tag zuhause zu sitzen war einfach zu repetitiv und man hat auch keine Inspiration gefunden. 

J.J.: Es ist schon ganz gut, wenn man auch mal Ruhephasen hat, um Musik auch mal umsetzen zu können. Inspirationstechnisch war es aber nicht gut. 

M.S.: Es ist für uns beide eine gewisse Form von Katharsis Sachen aufzuarbeiten und ich münze viele eigene Lebenserfahrungen in Melodien um. Es ist für mich einfacher meine Gefühle in Musik auszudrücken. Das bringen wir dann mit J.J.’s Texten zusammen und so entstehen unsere Songs. 

SV: Gibt es da spezielle Messages, die ihr unbedingt umsetzen wollt und ist euch dabei vielleicht auch eine gewisse Polarisation wichtig?

M.S.: Polarisation ist überhaupt nicht wichtig, ganz im Gegenteil. Viele Leute sagen immer, es sei alles so depressiv und wieder andere sagen, dass sie sich mit den Texten sehr gut identifizieren können, weil sie ähnliches durchgemacht haben und es ihnen hilft sich durch die schwere Phase zu arbeiten. Das ist ja auch ein sehr schöner Aspekt, wir wollen ja auch niemanden in den Selbstmord treiben! Es geht uns um die Aufarbeitung von Erfahrungen und wenn es Leuten hilft, ist das umso besser. Wir wollen ja auch keine oberflächliche Bierzeltmusik machen.

J.J.: Mir ist es wichtig, dass die Texte heavy sind und zum Nachdenken anregen. Es soll nichts Einfaches sein. Philosophie und Literatur sollen auch nicht einfach sein, sondern sollen die Menschen bewegen und zur Reflexion anregen.

SV: Würdet ihr dann sagen, dass eure Musik immer vom aktuellen Zeitgeschehen abhängig ist oder dass sie eher etwas übergeordnetes, transzendentales ist?

J.J.: Es hat schon einen gewissen Zeitgeist. Vor allem bei den Texten ist das so, weil sie einfach aus einer bestimmten Situation heraus entstehen. Das kann man auch nur schwer leugnen. Hinter jedem Song steht eine Geschichte, die sich auf einen bestimmten Zeitpunkt bezieht, auch wenn sich manche Sachen natürlich wiederholen. Bestimmte Lebenssituationen treten ja auch wiederholt auf, beispielsweise wenn man sich von nahestanden Menschen entfremdet oder man Trennungen erlebt. Das hat dann vielleicht auch etwas Universelles.

HARAKIRI FOR THE SKY, Erfurt; Pic by lightinmirror.de (c) 2023

SV: Ihr habt im Dezember ja eure ersten beiden Alben neu herausgebracht. Was war es für ein Gefühl für euch sich nochmal mit diesen älteren Materialien auseinanderzusetzen?

M.S.: Ich fand es sehr interessant, denn der zeitliche Abstand ist mit 10 bzw. 8 Jahren relativ groß gewesen. Damals, mit den damaligen Möglichkeiten, haben wir gemacht, was ging und jetzt wollten wir die Songs neu aufnehmen und dem Ganzen etwas Aktualität verleihen. Wir spielen die Songs ja auch live immer mal wieder. Damals haben wir ja teilweise im Schlafzimmer die Songs aufgenommen…

J.J.: Unsere Möglichkeiten sind heute ganz andere als damals und das war schon cool, dass wir uns dessen nochmal annehmen konnten. Es sind ja gute Songs und wir haben uns gefragt, wie sie klingen könnten, wenn wir sie jetzt auf nochmal auf einem professionellen Niveau aufnehmen und produzieren. 

Damals war es jetzt nicht unbedingt dilettantisch, aber wir haben eben unsere Möglichkeiten erschöpft. Die Grundgedanken und -stimmungen der Songs haben wir aber beibehalten. Wir haben das nicht komplett überarbeitet und Aspekte rausgeschmissen, sondern sind dem Ursprung treu geblieben. 

Meine Stimme klingt heute auch ganz anders als vor 10 Jahren und kann mehr leisten, was man auch dadurch gemerkt hat, dass die Songs auf der Bühne besser klangen als auf der Ursprungsversion. Wir wollten es uns nicht nehmen lassen, das auch auszunutzen. 

Darüber hinaus haben wir auf den neuen Aufnahmen einen dynamischeren Drum-Sound, weil wir einen echten Schlagzeuger in einem echten Studio hatten.

M.S.: Das gibt den Songs auch mehr Tiefe! Man muss sich ja auch nicht entscheiden zwischen alt und neu. Es gibt beide Versionen und jeder kann sich seinen Favoriten wählen. 

J.J.: Es war für mich auch ein bisschen schräg, denn ich habe mich ja wieder mit den alten Texten mehr auseinandergesetzt. Der Mensch, der ich damals war, hat nicht mehr so viel mit dem Mensch zu tun, der ich heute bin. Ich habe mich aber sehr gut wieder in diese Situationen hineinversetzen können, auch wenn man heute manche Sachen anders ausdrücken würde. Das ist aber wieder die Frage des Zeitgeistes.

SV: Seit dem Release des ersten Albums sind ja, wie gesagt, 10 Jahre vergangen und ihr habt in der Black Metal Szene, und in der Metal Szene generell, unheimlich viel erreicht. Was bedeutet euch dieser Erfolg, den ihr euch erarbeitet habt?

M.S.: Es ist sehr schön, wenn die Arbeit, die man investiert, auch Anklang findet und das ist auch etwas sehr wichtiges für uns. Die Musik, die wir machen, ist nicht nur ein kleines Hobby nebenbei, das wir eine Stunde in der Woche ausleben, sondern das hat einen sehr großen Stellenwert für uns. Dadurch, dass wir uns das stetig erarbeitet und uns dadurch einen Fan-Kreis gewonnen haben, ist es eine wirklich gute Sache. Wenn man von den Fans hört, dass die Musik einen Stellenwert in ihrem Leben hat, ist das ein stolzes Gefühl. 

J.J.: An sich ist mir der Erfolg relativ egal und ich mache mir darüber auch nicht so viele Gedanken. Aber wie M.S. schon sagte, ist es wirklich cool, dass etwas, in das man so viel Herzblut gesteckt hat, so honoriert wird. Ich bin kein kleines Kind, das nach Lob hascht, aber es ist ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Arbeit Früchte trägt und dass Leute sich mit den Texten identifizieren können. Uns ist schon öfter gesagt worden, dass wir Menschen mit unserer Musik durch Lebenskrisen helfen, was bei mir auch oft der Fall war. Zu hören, dass man so einen Tragweite im Leben anderer hat, ist ein schönes Gefühl. 

HARAKIRI FOR THE SKY, Erfurt; Pic by lightinmirror.de (c) 2023

SV: Was war euer eindrücklichster Bandmoment in den letzten Jahren?

J.J.: Für mich war es als wir während des Trauma-Albums über einen längeren Zeitraum aufbauschender Differenzen hatten, wir das aber beilegen konnten und aus dieser Situation erstarkt herausgehen konnten.

M.S.: Es war wie bei einem alten Ehepaar!

J.J.: Ja! Genau! Wir haben uns eben über lauter sinnlose Dinge gestritten und haben uns aber doch wieder am Riemen reißen können. Unsere Freundschaft ist dadurch auch stärker als vorher. Das war für mich ein sehr einprägsamer Bandmoment. 

Es gibt dann auch noch Konzerte, auf die man sich mehr freut als andere. Wenn man im Jahr 80 Konzerte spielt, ist man nicht immer vor jedem Auftritt über alle Maße euphorisch. Wir haben die Gelegenheit Länder und Regionen zu bereisen, in die man sonst gar nicht oder nur schwer käme, wie etwa Südamerika, und das ist schon sehr cool. 

M.S.: Die Wiederholung ist der stetige Feind und wenn man dann nur ein Album macht, weil man eben gerade in der Band ist, dann muss man schon überlegen, ob es so sinnvoll ist weiterzumachen. 

J.J.: Manche Bands, die in ihrer Muttersprache singen, haben ja auch eine gewisse Sprachbarriere, bleiben zwangsläufig in Deutschland, Österreich und der Schweiz hängen und kommen nicht großartig herum. Das ist bei uns, Gott sei Dank, nicht passiert. Dass wir englischsprachige Texte haben, hat schon einen darauf Einfluss gehabt, dass wir weiter herum gekommen sind. Es kommen auch immer wieder Länder hinzu, in denen wir vorher noch nie gespielt haben. 

SV: Wie viele Bands musstet ihr eure Tour ja mehrmals verlegen. Wie fühlt es sich an, die Tour jetzt endlich zu spielen?

M.S.: Vor dem Start der Tour hat es sich sehr schräg angefühlt, aber jetzt, wo wir einmal unterwegs sind, sind wir sehr glücklich damit. Es läuft gut, die andern Bands sind wirklich freundlich und wir haben eine angenehme Stimmung. 

J.J.: Wenn wir die Tour nochmal hätten verschieben müssen, hätten wir sie komplett abgesagt. Man plant etwas, das Album ist schon lange draußen und zwei Jahre lang eine Release-Tour zu spielen, ist auch irgendwie eigenartig. 

M.S.: Wir haben die Tour auch zu einer Zeit gebucht, in der nicht klar war, wie sich die Einschränkungen entwickeln würden und das hat dazu geführt, dass einige wichtige Städte nicht dabei sind. Die Daten sind einfach übernommen worden, wo wir uns im Nachhinein gedacht haben, dass es vielleicht besser gewesen wäre, das Ganze nochmal neu anzugehen. Aber es läuft bisher sehr gut. 

J.J.: Persönlich passt das auch alles gut. Manchmal passiert es, dass sich herausstellt, dass zwei oder drei Leute nicht gut miteinander können. Das lässt sich im Tourbus nur schwer vermeiden. Aber nicht jeder kann mit jedem und das ist bei dieser Tour zum Glück nicht der Fall. Die persönliche Ebene passt total und man freut sich nicht nur auf die Konzerte, sondern auch auf alles drumherum. 

HARAKIRI FOR THE SKY, Erfurt; Pic by lightinmirror.de (c) 2023

SV: Welche Songs sind live eure persönlichen Favoriten?

M.S.: Das wechselt ständig. Wenn man einen Song lange im Set hat, dann kann es sein, dass man den irgendwann nicht mehr hören kann, auch wenn es vielleicht früher mal ein Favorit war. 

J.J.: Ich muss auch sagen, dass ich einige von den Fan-Lieblingen, wie beispielsweise Calling The Rain, gar nicht mehr hören kann. Es ist ein guter Song, die Leute wollen den hören, aber wenn man den Song so häufig spielt und der Text auch emotional schwer ist, weil man viel damit verbindet, dann bin ich ein bisschen froh, dass wir den nicht mehr spielen. Es gibt aber auch Songs, die wir schon ewig spielen, wie beispielsweise Sing For The Damage We’ve Done, der nach wie vor sehr viel Spaß macht. Der passt einfach immer. Ich finde es auch ziemlich gut, dass wir And Oceans Between Us endlich dabei haben. Wenn man als Musiker beginnt an einem Album zu arbeiten, dann wechseln die Lieblingslieder immer mal wieder. Mir passiert es auch, dass mir Songs am Anfang nicht zusagen und wenn sie dann fertig sind, sind es meine Lieblingssongs. Das wechselt aber auch oft. Wenn man einen Song ein oder zwei Jahre nicht mehr spielt, kann das auch wieder anders aussehen. 

SV: Wenn ihr euch für die Zukunft von HARAKIRI FOR THE SKY noch eine Sache wünschen könntet, welche wäre es?

M.S.: Dass es weiterhin mit uns gut harmonisiert, dass wir die Freude daran nicht verlieren, dass wir noch andere Teile der Welt sehen und dass wir das Ganze gleichzeitig so organisieren, dass man im Privatleben keine Abstriche machen muss. 

J.J.: Das wäre die optimale Situation, das stimmt. Wir sind alle Anfang 30, M.S. hat vor kurzem geheiratet, ich heirate in zwei Monaten und damit sind in der Band dann fast alle verheiratet. Es ist alles vereinbar, aber man braucht tolerante Partnerinnen, damit das für alle so weiterläuft und für alle auch in Ordnung ist. 

M.S.: Wenn man Touren spielt und den Gedanken hat, dass man die Partnerin dafür vernachlässigen muss, dann ist das natürlich nicht schön. Wir haben zum Glück sehr verständnisvolle Partnerinnen. 

J.J.: Es ist auch einer meiner Hauptwünsche, dass wir so weitermachen und uns kreativ ausleben können, ohne in ein paar Jahren ein paar gescheiterte Existenzen zu sein, die für ihre Kunst alles weitere aufgegeben haben. 

M.S.: Wir wollen auch keine Band sein, die Musik macht, weil Musik gemacht werden muss. Man sieht das ja häufiger bei älteren Bands, die Musik produzieren, nur damit sie alle zwei Jahre ein neues Album rausbringen und davon leben können. Dem fehlt aber das Herzblut und das wollen wir nicht. 

J.J.: Das hat auch mit der eigentlichen Intention der Musik nichts mehr zu tun. 

SV: Wenn ihr noch eine Message für eure Fans hättet, welche wäre es?

J.J.: Seid distanzlos und quatscht mich an!

HARAKIRI FOR THE SKY, Erfurt; Pic by lightinmirror.de (c) 2023

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