Ironisch, Heroisch, Ikonisch: Ein Interview mit ENSIFERUM

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Es ist das Jahr 2015. Ich bin gerade 18 Jahre alt und gehe in einen Laden, um neue CDs zu kaufen. Unter der (sehr spärlichen) Auswahl ist auch ein Album, das einen Berserker auf dem Cover hat und der Bandname prangt in eleganter, aber doch sehr metalhafter Art darüber. Der Name dieses Albums war One Man Army von keiner geringeren Band als ENSIFERUM. Jetzt, sieben Jahre später, habe ich endlich die Chance erhalten mich mit Bassist Sami Hinkka hinzusetzen und ihm ein paar Fragen zu stellen.  

Die genialen Bilder stammen, wie immer, von der fantastischen lightinmirror.de!

Sami Hinkka/ENSIFERUM @Rockharz 2022; Pic by lightinmirror.de (c) 2022

SV: Wenn du euren musikalischen Stil in drei Worten beschreiben müsstest, welche wären es?

Sami: Ich werde mal ein Arschloch sein und etwas übernehmen, was jemand anderes über uns gesagt hat: Heroischer Folk Metal. Wenn ich vier Worte hätte, würde ich „Ironisch heroischer Folk Metal“ sagen, denn das wurde mal in einer Review über uns gesagt. 

SV: Wie habt ihr den Bandnamen ausgewählt?

Sami: Das war Markus, der Gründer der Band und Gitarrist, damals 1995, denke ich… Er gründete seine eigene Band und war sehr von Folk Musik und Death Metal beeinflusst, insbesondere Melodic Death Metal. Dieses spezielle Genre nahm damals i langsam Fahrt auf, mit Alben wie Tales of the Thousand Lakes von AMORPHIS. Markus nahm sich dann ein Wörterbuch Latein-Finnisch/Finnisch-Latein, öffnete es, zeigte mit einem Finger auf ein Wort und da war es: ENSIFERUM, der Schwertträger. Es war einfach ein sehr guter Name für die Band. Es passt sehr gut zu uns, aber du hast ja keine Ahnung, wie viele Rechtschreibfehler wir schon in der ganzen Welt gesehen haben und wie oft wir den Namen schon buchstabieren mussten. 

SV: Es gibt auch einfach gefühlt 20 verschiedene Arten den Namen auszusprechen.

Sami: Ja! Wir sprechen es immer als „Ensi-ferrrrum“ aus, was eine sehr finnische Art und Weise es auszusprechen ist. Die Deutschen ergänzen gerne noch ein „i“ und sagen „Ensiferium“, was ziemlich niedlich ist!

[Anmerkung: Sami spricht den Namen mit Betonung auf dem „r“ aus, was ich versucht habe im Text darzustellen. In jedem Fall ist die erste Silbe „Ensi“, der „Ferrum“ folgt und das „e“ wird dabei kurz ausgesprochen]

SV: Was inspiriert eure Musik am Meisten?

Sami: Ich denke, für die Antwort auf diese Frage brauchen wir Markus, denn er ist der hauptsächliche Songwriter, auch wenn wir alle Ideen einbringen und gemeinsam das Arrangement machen. Es ist sehr selten, dass jemand von uns einen komplett fertigen Song hat. Für Markus scheint die Inspiration aus dem Unterbewusstsein zu kommen. Er setzt sich hin, fängt an zu spielen und wenn er etwas findet, was gut ist, fängt er an es weiterzuentwickeln. Was die Lyrics angeht, lese ich gerne und schaue Filme und hole mir dort dann meine Inspiration. In letzter Zeit habe ich leider nicht so viel lesen können, worüber ich ein bisschen traurig bin.

Markus Toivonen/ENSIFERUM @Rockharz 2022; Pic by lightinmirror.de (c) 2022

SV: Was denkst du unterscheidet eure Musik und eure Band von anderen Bands eures Genres?

Sami: Ich denke, dass es letztlich die Melodien sind, denn das ist ein wichtiger Teil unserer Musik. Wir haben sowohl lange Songs, als auch welche, die ein bisschen mehr „Humpa“ sind und deswegen kann man auch keinen klassischen ENSIFERUM Song identifizieren. Wir haben auch ein paar Power Metal Aspekte in unserer Musik, um es noch ein bisschen verwirrender zu machen! [lacht]

Es ist wirklich gut so, denn für dich als Songwriter bleibt das Ganze interessant, weil man sich nicht auf einen bestimmten Stil festgelegt hat. Für uns gibt es da keine Grenzen.

SV: Du hast ja erwähnt, dass diese Band seit 1995 besteht und seitdem seid ihr ja auch immer bekannter geworden. Fühlt ihr einen Druck mit jedem Album, das ihr veröffentlicht, noch erfolgreicher sein zu müssen?

Sami: Nein. Natürlich wollen wir immer unser bestes geben, aber niemand setzt uns irgendwie unter Druck. Das Management und das Label unterstützen uns und sie wissen ja auch, wie wir arbeiten. Vielleicht liegt das auch einfach am Metal als solchem. Wenn man in der Pop-Szene nicht genug Aufmerksamkeit bekommt, wird es schnell sehr schwer. Metal Fans sind sehr treu und wir schreiben weiter das, was uns gefällt und wir haben auch schon viele rohe Songs für das nächste Album. Wir haben auch schon welche für das übernächste Album. Wir sind langsame Komponisten und wir brauchen sehr lang ehe die Songs wirklich fertig sind. 

SV: Was hat sich aus deiner Sicht am meisten geändert, seit du angefangen hast Musik zu machen?

Sami: Metal ist immer noch etwas marginales in der Gesamtheit des Musik-Business, auch wenn es mainstreamiger geworden ist. Und Metalheads werden auch erwachsen. Ich habe letztens darüber mit Sami von FINNTROLL und Kai von NIGHTWISH darüber gesprochen, dass die Zeit so verdammt schnell vergeht. Ich habe in den letzten Jahren in der Pandemie als Krankenpfleger gearbeitet und ich hatte Patienten mit MOTÖRHEAD T-Shirts, die in ihren 60ern waren, aber angefangen haben die Band in ihren 20ern zu hören. Ich schätze, das ist auch das, was Metal und Rock mal war: Ein paar junge Menschen, die rebellierten und Musik machten. Metalheads sind aber im Herzen jung geblieben!

Natürlich hat auch das Internet die Szene sehr verändert, vor allem mit dem Streaming. Wenn ich mir die Live-Konzerte so anschaue, würde ich sagen, dass es dem Metal ganz gut geht. Wir haben auf dem Hellfest gespielt, was einfach nur riesig war und Tuuska Festival hat sogar einen neuen Besucherrekord aufgestellt in diesem Jahr. Was ich auch sehr schätze sind die jungen Bands, die jetzt aufkommen, sodass nicht nur wir Dinos auf der Bühne stehen. Gleichzeitig ist es einfach beeindruckend, wie Musiker, die 10 oder 20 Jahre älter sind als wir, noch immer die Bühne rocken.

SV:  Du hast gerade die Pandemie auch angesprochen. Wie hat sich diese denn auf die Band ausgewirkt?

Sami: Nun ja, es war scheiße. Ich hatte das Glück, dass ich noch zwei andere Ausbildungen habe und ich einen regulär Job annehmen konnte und so die finanzielle Situation für mich nicht allzu frappierend war. Was mich wirklich getroffen hat, war, dass ich nicht so viel Zeit für Musik mehr hatte, weil es ja andere Verpflichtungen im Leben gab. Zum Glück haben wir aber einen Schritt in Richtung Zukunft getan und Markus hat sich einen guten Laptop mit einer Recording-Software gekauft, statt, wie früher, alles immer mit dem Handy aufzunehmen und tausende Versionen des gleichen Songs zu haben. Er hatte immer verschiedene Versionen mit unterschiedlichen Akkorden und wenn wir es dann spielen wollten, war immer alles durcheinander und er hat es verzweifelt auf seinem Telefon gesucht. Das war also ein großer Schritt nach vorne. Es hat uns beim Komponieren der Songs für das kommende Album sehr geholfen, denn ich wüsste nicht, wo wir stünden, wenn es nicht Markus mit seinem Einsatz neue Dinge zu lernen gäbe. Ich hatte vielleicht Ideen für drei Songs und er hatte aber schon direkt drei fast fertige Songs. 

Ich denke aber, dass die Pandemie die Leute sehr unterschiedlich getroffen hat, manche haben die Zeit genutzt, um etwas Produktives zu machen und andere haben sich einfach zurückgezogen, weil sich alles geändert hat. Als die Pandemie begann dachte man noch „Ok, das ist jetzt nur der Sommer“ und dann wurde es Herbst und dann Winter und ich denke nicht, dass jemand gedacht hat, dass es so lange anhalten würde. Aber jetzt sind wir zurück und der globale Preis war leider viel zu hoch. 

Petri Lindroos/ENSIFERUM @Rockharz 2022; Pic by lightinmirror.de (c) 2022

SV: Das war er auf jeden Fall. Wenn man das bedenkt, was ist es dann für ein Gefühl wieder auf der Bühne stehen zu können?

Sami: Es ist einfach nur toll! Letztes Jahr hatten wir das Privileg eine Streaming Show für das Hellfest machen zu können und das war die größte Produktion, die wir jemals hatten. Wir hatten Pyros, Rauch, coole Lichter und die hatten sogar verdammte Drohnen-Kameras herumfliegen, es war wirklich wunderschön, aber da war kein Publikum und man konnte die Grillen zwischen den einzelnen Songs hören. Es hat sich so einfach nicht real angefühlt. Aber nochmal ein großes Danke an das Hellfest, dass sie das ermöglicht haben. 

Es fühlt sich aber jetzt einfach genial an wieder live spielen zu können, weil ENISFERUM für mich schon immer eine Live-Band und keine Studio-Band war. Manche Bands erschaffen phänomenale Dinge im Studio und Live-Auftritte mögen da vielleicht dann nicht deren Ding sein. Für uns ist es umgekehrt, wir können niemals unsere Energie reproduzieren, wenn wir kein Publikum haben. Es geht uns um die Interaktion mit dem Publikum. Wir haben gerade ein Tour mit DARK TRANQUILLITY absolviert und die war einfach nur krass! Wir hatten großes Glück mit dieser Tour, denn an vielen Plätzen waren wir die erste internationale Tour, die an vielen Orten stattgefunden hat nach den Lockdowns. Das Publikum war generell auch sehr gut, Ich mein allein die Masse an Menschen auf der gesamten Tour und in vielen Orten kamen die Leute auch, selbst wenn sie überhaupt nicht wussten, wer wir sind. Sie waren nur da, weil wieder was los war und sie das genießen wollten. Die Menschen brauchen einfach wieder die Live-Musik.

SV: Spielst du lieber Konzerte oder Festival-Shows?

Sami: Beides hat Vor- und Nachteile. Wie hier, beim Rockharz, vor 20.000 Menschen zu spielen, ist schon ein großer Ego-Trip. Natürlich fühlt es sich einfach verdammt genial an, wenn die Menschen mitsingen und es dir eine Gänsehaut gibt, weil sie lauter sind als dein PA-System. Das Problem ist nur, dass diese Gigs etwas anonymer sind. Wenn man eine kleine Rock-Show spielt, ist man buchstäblich nur einen Meter von den Leuten entfernt und Blut, Spucke, Erbrochenes und Bier fliegen durch die Luft! Das ist einfach intensiver. Auch wenn man bei beidem live spielt, sind sie für mich einfach zwei komplett verschiedene Dinge. Es ist ein bisschen als würde man dich fragen, ob du lieber Schokolade oder Eis ist. Ich persönlich mag beides! Die Antwort auf deine Frage ist also „Ja!“ [lacht]

SV: Welche Songs spielst du live am liebsten?

Sami: Es geht nicht so sehr darum, was ich gerne live spiele, sondern wie die Menge reagiert. Das ist ein bisschen das Licht am Ende des Tunnels bei Corona: Wir haben Thalassic veröffentlicht, als die Pandemie gerade anfing und die Menschen hatten Zeit sich das Album wirklich anzuschauen, um die Lyrics zu lernen. Normalerweise, wenn man ein Album veröffentlicht, geht man direkt auf Tour und die Fans hören das Album vorher vielleicht einmal oder zweimal. Jetzt merkt man aber, dass sie es ganz genau gehört haben und die Songs zu den ihrigen gemacht haben. Aus dem letzten Album ist wahrscheinlich Run from the crushing Tide mein Favorit. Es ist ein schneller Song und die Leute gehen dazu richtig ab. Lai Lai Hei scheint auch immer gut zu funktionieren, weil es leichter Song ist, selbst wenn man die Band nicht kennt. Man muss auch die Lyrics nicht kennen. Der Song wurde übrigens damals von Jari, unserem alten Sänger [und Gründer von WINTERSUN] und Markus geschrieben.

SV: So viel Spaß dieses Gespräch auch gemacht hat, muss ich leider nun zum Ende kommen und die letzte Frage stellen: Wenn du den Fans eine Sache sagen könntest, was wäre es?

Sami: Zunächst einmal solltet ihr auf euch aufpassen, auch wenn die Corona-Situation besser geworden ist. Genießt den Sommer und haltet den Metal in Ehren, wie wir es immer gemacht haben! Cheers!

Ich muss ehrlich zugeben, dass dieses Interview für mich ein ziemlicher Fangirl-Moment für mich war! Wenn ihr noch mehr Interviews vom Rockharz lesen wollt, dann bleibt gespannt! Ich habe noch einiges, was da auf euch zukommt!

Pekka Montin/ENSIFERUM @Rockharz 2022; Pic by lightinmirror.de (c) 2022

1 Kommentar zu „Ironisch, Heroisch, Ikonisch: Ein Interview mit ENSIFERUM

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